Französischer Sänger
❝ Ich wollte 1994 nur ein paar Wochen in Berlin bleiben ❞

Interview bei Radio Multikulti
Wie sind Sie eigentlich auf Chanson gekommen?
Als ich 9 Jahre alt war, suchte ich heimlich Musik in der Plattensammlung meines Vaters. Neben ,Pink Floyd stand ein Vinyl von Georges Brassens, der Lieblings-Chansonnier Frankreichs. Auf dieser Platte war geschrieben: „nicht für alle Ohren geeignet“.
Dieser Mann sollte also etwas geschrieben haben, dass die Kinder nicht hören sollten. Auf dem Coverbild war aber nur ein Opa mit seiner Pfeife, seiner schielenden Siamkatze und seiner Gitarre.
Ich habe das alles sofort auf den Plattenspieler gelegt. Das war eine große Entdeckung! Die Poesie, die Umgangssprache, die Schimpfworte, die Melodien, die Themen… Mit 10, habe ich dann Georges Brassens auf der Bühne in Paris Bobino bei seiner letzten Tournee gesehen. Ich war fasziniert von so viel Schlichtheit und Demut.
Georges Brassens hat mich meine ganze Jugend begleitet. Seine Texte waren für mich das wahre Leben ohne der Mode oder Revolution zu folgen. Er hat über wichtige Sachen gesungen. Ich habe diese Leidenschaft mit niemandem geteilt, weil seine Chanson unter Jugendlichen als altmodisch galten.
Ich hatte mir immer so einen Großvater gewünscht, der mir Geschichten erzählt. Meine beiden Großväter habe ich nie kennengelernt. Als ich nach Berlin kam erfuhr ich, dass Brassens seine ersten Lieder in Basdorf (nördlich von Berlin) während des zweiten Weltkrieges in einem Arbeitslager geschrieben hat. Unglaublich, nicht?
Für viele Deutschen ist Frankreich ein Urlaubsort wo man „wie Gott“ leben kann. Wenn man Ihre Lieder hört sind Sie aber selbst nicht zärtlich mit ihrem Land. Warum denn?
Selber habe eine schlechte Erfahrung gemacht als ich 1975 nach Frankreich kam. In der Schule trugen die Lehrer noch Uniformen, Jungs und Mädchen waren noch getrennt. Auf dem Schulhof, herrschte Gewalt und Rassismus. Mein bester Freund wurde verprügelt, wegen seiner Haut. Er war Afrikaner. Ich habe das erst Jahre später verstanden. Ich hatte Angst vor Mitschülern und vor allem vor den Lehrern. Wenn ich mich an dieser Zeit erinnere, denke ich an das 19. Jahrhundert, an die Zeit von Emile Zola, die er in seinen schrecklichen Romanen beschrieben hat. Frankreich war nicht schön für mich.
Später, als Jugendlicher, erlebte ich die Gewalt der Vorstädte. Obwohl ich in einem reichen Vorort wohnte, sah ich wie die Drogen das Leben von Jugendlichen zerstört haben. Die Kinder sind nicht glücklicher weil ihre Eltern Geld haben. Im Gegenteil. Sie fühlen sich im Stich gelassen weil ihre Probleme in dieser reichen Welt einfach verschwiegen werden. Das Geld ist der beste Freund des Schweigens.
Mit 17 gründeten Sie eine Lokalzeitung, studierten dann Journalismus, reisten nach Berlin, China, die Tschechoslowakei, Rumänien und die noch-lebendende Sowjetunion, um über den zerfallenden Kommunismus zu schreiben. Was war das für eine Epoche?
Die Zeit war unglaublich spannend. Ich bin wie durch Ruinen eines gefallenen Reiches gefahren. Alles war still. Überall nahmen mich die Leute wie ein Held auf weil ich aus Frankreich kam. Ich wusste gar nicht dass mein Land in der Welt so geschätzt war. Das hat sich inzwischen geändert. Frankreich ist mit der Globalisierung kleiner geworden.
1994
Als Sie 1994 nach Berlin-Prenzlauer Berg ziehen, wollte Sie sich nur ein paar Wochen bleiben. Sie sind geblieben. Jetzt haben Sie eine Familie gegründet. Wie ist es passiert?
In dieser Zeit, wurde mir Paris einfach zu eng. Nach so vielen Reisen, wollte ich weg. 1993 besuchte ich Freunde in Berlin und fasste unmittelbar den Entschluss, dort hin zu ziehen. Der spröde Charme des Umbruchs und Wandels in den 1990er-Jahren hat mich fasziniert. Meine Freunde aus Paris fragten mich damals, was ich denn in Berlin wolle. Es gebe doch nichts zu tun, haben die gesagt. Die Stadt war aber voller Hoffnung. Auf einmal war das Leben voller Freiheit und Möglichkeiten. Ein Arbeitstag reichte, um die Monatsmiete zu zahlen. Ich habe die Bohème, die ich in Paris gesucht habe, in Berlin gefunden. Ich konnte einfach nicht fort und bin wie viele andere hängen geblieben.
Was haben Sie im Prenzlauer Berg all diese Jahre gemacht?
Ich habe romantische Stunden auf Häuserdächern, in Stammcafés und Nächte in Clubs verbracht. Ich habe Bäume auf dem Bürgersteig gepflanzt. Ich habe getrunken, gesungen, getanzt mit Menschen aus der ganzen Welt. Berlin hat mir damals auch Zeit gegeben, über meine Vergangenheit nachzudenken. In Paris hätte ich nie diese Zeit gehabt. Dort wäre ich nie Sänger geworden.
Wie sind sie an Auftritte gekommen?
In Berlin saß ich eines Abends in 2003 in meiner Wohnung mit italienischen Freunden zusammen. Die Italiener sangen, dann sagte mir einer: „Christophe, sing doch auch etwas!“. Ich habe gesungen, und als ich fertig war, waren die Italiener begeistert. Ich hatte meine Leidenschaft auf einmal wieder entdeckt. An diesem Abend wusste ich endlich was ich wollte: nicht mehr heimlich, sondern auf der Bühne singen.
Nach mehr als 20 Jahren in Berlin, wie französisch sind sie überhaupt noch?
Ich habe die französische Kultur in mir. Meine Seele, meine Träume, mein Humor. Meine Musik. Schon wegen der Sprache, werde ich mich in Berlin immer fremd fühlen. Um dieses Gefühl zu beschreiben habe ich ein Lied geschrieben: „Mon beau pays“ (Mein schönes Land). Du fühlst du dich fremd im Exil aber auch in deiner eigenen Heimat. Es geht um dieses Heimweh, das nicht mehr zu überwinden ist. Nach 30 Jahren Exil, gibt es nur noch ein schönes Land: deine Familie.
2005
2005
Während der französische Großvater als Soldat in Algerien war, kämpfte der deutsche in der Wehrmacht und hat Paris besetzt. Haben Sie noch deutsche Verwandte?
Meine Mutter ist kurz vor dem Krieg in Berlin geboren. Sie ist jetzt Französin mit „deutsche Migration Hintergrund“. Ich habe keine Wurzel mehr in Deutschland. Meine deutschen Großeltern habe ich so gut wie nie gesehen.
Ich hatte noch vor einigen Jahren mit meinem Onkel in München guten Kontakt gepflegt. Der ist leider 2008 plötzlich gestorben.
Ich habe keine Cousins und konnte vor meiner Ankunft in Berlin kein Deutsch. Meine zwei Brüder sprechen heute immer noch kein Deutsch. ärgern.
Seit 2005 spielen Sie nur mit denselben Musikern: das „Trio Scho“ aus der Ukraine und Russland.
In einem ukrainischen Musik-Café in Prenzlauer Berg traf ich 2005 das „Trio Scho“.
Ich habe sie gefragt, ob Sie mit mir spielen möchten. Ich hätte nie gedacht, dass Sie akzeptieren würden.
Das Trio hat so viel Talent und eine außergewöhnliche Ausbildung. Ich konnte noch nicht mal singen und Gitarre spielen. Meine Chance war, dass sie französische Chansons und Frankreich lieben. Ich habe natürlich diesen Vorteil voll ausgenutzt! Gennadij Desatnik (Geige) hat mir geholfen die Stücke zu arrangieren.
Valeriy Khoryshman (Akkordeon) hat für mich die Noten geschrieben. Ohne das Trio würde ich heute immer noch in meiner Küche für Freunde singen.
Warum passt ihr so gut zusammen?
Bevor wir die erste Probe gemacht haben, wusste ich schon dass es klappen wird. Diese Mischung aus jiddischem bzw. osteuropäischem Einschlag von dem „Trio Scho“ ist schon ein Teil des französischen Chansons.
Sehen sie sich nur die großen französischen Chansonniers an. Die kommen fast alle aus dem Osten – oder aus Italien! In Berlin habe ich die Wurzel des französischen Chansons wieder gefunden!
2025
Zur Person :
1967. Der Franzose ist am 13. März in Rotterdam geboren. „Ich bin kein Niederländer, wie ich das manchmal in der Zeitung lese. Ich habe einen französischen Pass, obwohl ich nicht in Frankreich geboren bin und ich fühle mich auch als Franzose. Mein Vater ist Franzose. Mein Mutter, als Deutsche geboren, ist Französin geworden.“
1970. Er zog nach Italien. Als Kind, lebt er fünf Jahre in Mailand. „Irgendwie ist etwas in mir italienisch. Ich weiß nicht genau was. Das ist wahrscheinlich die Musik. In meiner Familie hat ja niemand gesungen – oder falsch“.
1975. Ankunft in Frankreich. „Plötzlich haben die Leute um mich französisch geredet“. Die Familie wohnt in einen ländlich-bürgerlichen Pariser Vorort. „Ich habe den Eindruck, ich habe in Frankreich nur geträumt“.
1977. Mit 10 Jahre sieht er Georges Brassens auf der Pariser Bühne „Bobino“ bei seiner letzten Tournee.
1980. Er fängt mit Gitarren Unterricht an und singt heimlich zu Hause Chansons von Brassens, Brel und Barbara. „Niemand wollte mit mir diese Leidenschaft teilen“.
1987. In seiner Stadt, gründet er eine Lokalzeitung. Journalismus wird sein Beruf. „Mein Großonkel meinte immer: wenn du Talent hast wird nicht Journalist… Hat er damit gemeint das ich lieber singen sollte?“.
1989. Wehrdienst. « Als die Mauer fiel, habe ich in einer Kaserne Wache gehalten“.
1992. Nach dem Journalismus Studium, macht er Reportagen als freier Journalist im ehemaligen „Ost-Block“. „Die Begegnung mit Leuten aus einer ganz anderen Welt – die des Kommunismus – war für mich das größte Erlebnis meines beruflichen Lebens“.
1994. Auslandskorrespondent in der Hauptstadt. „Ich dachte die Bohème lebt in Paris. Ich habe sie in Berlin getroffen“
2006. Komponiert und schreibt seine ersten Lieder über Berlin. „Nach einem privaten Absturz kamen plötzlich ein paar Lieder aus meinem Kopf. Louis Aragon hatte recht: soviel Leid braucht man für ein einfaches Lied“.
2008. Erstes Album « Tant de saisons perdues“. Für seine Texte lässt er sich von vergangenen Geschichten, flüchtigen Liebschaften, vergangenen Freundschaften und ausgegrabenen Erinnerungen an und aus dem Berlin seines „Exils“ inspirieren.
2009. Das zweite Album „Constellation périphérique“ zeichnet Porträts von Menschen am sogenannten Rand der französische Gesellschaft.
2011. Das dritte Album „La mort du loup“ widmet sich dem traditionellen französischen Chanson und der Poesie. Lied für Lied interpretiert Christophe Bourdoiseau Gedichte von Aragon, Baudelaire und Rimbaud.
2015. Erste Auftritte in Fernsehen (RBB Übertragung) mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg.
2024. « Migrant ». Was ist Heimat und wo findet man sie? Damit beschäftigt sich das vierte Album.